Die Geschichte des Turnersteges 1914 - 1977

Eine ungewöhnliche Leistung vollbrachten die MTV-Mitglieder im Jahre 1914. In einer außerordentlichen Generalversammlung am 6. April 1914 wurde die Errichtung eines eisernen Steges über die Mangfall beschlossen. Unverzüglich wurde das für einen Turn­ verein außergewöhnliche Bauvorhaben unter der fachkundigen Leitung von Turnwart, Ingenieur Paul Schuberth, 2. Vorstand, Bauverwalter Josef Seitz, Säckelwart, Oberwerkmeister Josef Simon und unter begeisterter Mitwirkung zahlreicher Vereinsmitglieder in Angriff genommen. Ohne den bereits in der Luft liegenden Pulverdampf zu riechen wurde aus Materialien der alten Innbrücke in einer Bauzeit von vier Monaten ein kürzerer und bequemerer Weg für die MTV'ler zu ihrem Sommerturnplatz geschaffen.

Am 18. Juli 1914 wurde der Turnersteg im Beisein zahlreicher Gäste eingeweiht und dem öffentlichen Verkehr übergeben. Der Rosenheimer Stadtmagistrat gewährte einen Baukostenzuschuss von 100,- Mark. Niemand konnte ahnen, daß wenige Wochen später der Krieg die Welt erschüttern würde. Viele MTV-Mitglieder wurden bei der Mobilmachung einberufen und einige der am Stegbau beteiligt gewesenen sahen die Heimat nicht wie­ der.







Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wurde bald sichtbar, daß sich der MTV mit seinem Turnersteg eine schwere Last aufgebürdet hatte. Die Unterhaltung des Steges kostete immer wieder Arbeit und Geld. Im Kriegsjahr 1940 schien das Ende des Tumersteges gekommen. Ein Hochwasser hatte ihn weggerissen. Sollte es wirklich zu Ende sein, mit der im Jahre 1914 in einer vorbildlichen Gemeinschaftsarbeit geschaffenen Mangfallüberquerung? Nein, es war nicht zu Ende! Dieser Schicksalsschlag ,- hervorgerufen durch ein ungewöhnliches Hochwasser - hatte die wenigen, in der Heimat noch verfügbaren alten MTV'ler wiederum zu einer ungeahnten Gemeinschaftsleistung motiviert. Leider sind hierüber, außer einigen Photos, keine schriftlichen Aufzeichnungen vorhanden. Es war ja Krieg, und in dieser schweren Zeit hatten die alten oder unabkömmlich gestellten Vereinsmitglieder wahrlich andere Sorgen, als schriftliche Berichte für den Verein zu fertigen. Lassen wir deshalb einen bereits ergrauten MTV'ler sprechen, der damals mit dabei war und der bis zum heutigen Tage Zeit und Arbeitskraft in uneigennütziger Weise für den MTV geopfert hat. Hier sein Bericht:

"Tagelange Regengüsse hatten im Mai 1940 die Mangfall unaufhaltsam ansteigen lassen. Immer mehr entwurzelte Bäume kamen mit den schäumenden Wellen flußabwärts. Als das Wasser schließlich den Betonplattenbelag des Turnersteges erreicht hatte, war es geschehen. Ein mächtiger Baumstamm wurde von den mannshohen Wellen mit solcher Wucht gegen den mittleren Pfeiler des Steges getrieben, daß dieser nicht mehr standhielt und das Brückenbauwerk zusammensackte. Die einzelnen Eisenträger und sonstige Stegteile wurden fünfzig, hundert und noch mehr Meter abgetrieben. Was nun? Viele unserer Vereinsmitglieder, vor allem die Jüngeren, waren an der Front. Die Alten, darunter fast vollzählig die alte Vorstandschaft, sowie einige Jüngere, die in Rüstungsbetrieben tätig und deshalb unabkömmlich gestellt waren, standen noch zur Verfügung. Diese Wenigen zauderten nicht lange. Unter den bewährten Vorstandsmitgliedern Georg Hackl, Josef Seitz, Josef Simon, Josef Jell, Peter Eibl, Ludwig Keller u.a. wurde in wochenlanger Freizeitarbeit zunächst ein Notsteg aus Holz errichtet, damit die noch verbliebenen Vereinsmitglieder und die Bewohner von Oberwöhr weiterhin die Mangfall auf dem gewohnten Weg überschreiten konnten. Dann mussten die verbogenen Eisenträger, Geländerteile, Stützen usw. aus dem Flussbett geholt, wieder funktionsfähig her­ gerichtet und der Steg schließlich wieder neu montiert werden. Der MTV-Platz war zu dieser Zeit eine einzige Baustelle. Was diese Vereinsmitglieder in diesen verworrenen Kriegsmonaten für ihren MTV an schwerer Dreckarbeit ohne Murren, oft nicht einmal für eine bescheidene Brotzeit, geleistet haben, kann nur der ermessen, der selbst mit Hand angelegt hatte. Einige Bilder aus damaliger Zeit mögen den Eindruck von dem Ge­ leisteten vervollständigen."
















Der Zahn der Zeit hatte im Laufe der folgenden Jahre erneut am Turnersteg genagt. Im Jahre 1954 war die Baufälligkeit soweit fortgeschritten, daß etwas geschehen musste, wenn eine Sperrung des Flussüberganges verhindert werden sollte. Zur Durchführung der notwendig gewordenen Arbeiten wurde ein technischer Ausschuss gebildet, bestehend aus den Mitgliedern Willy Gunzenberger, sen., Josef Oberhuber, Max Bär und Franz Karl, wobei die drei Erstgenannten bereits bei den Stegbauarbeiten im Jahre 1940 mit von der Partie waren. Bei der Mitgliederversammlung am 28. August 1954 konnte Vorstand Philipp Schinhärl den Abschluss der Stegreparatur und die Namen der daran beteiligten Vereinsmitglieder bekannt geben. Neben Schinhärl waren dies: Willy Gunzenberger, sen. und jun., Max Bär, Josef Oberhuber, Josef Simon mit Sohn Robert, Karl Schädler, Heinrich Linnerer, Josef Schuster, Paul Lechner, Josef Greilinger, sen., Alfons Fischer, Rupert Weiß, Konrad Wimmer, Franz Karl, Otto Prestel, Georg Ohlwärter, Josef März und Anton Luger. Wiederum hatten MTV-Mitglieder ohne "wenn und aber" tatkräftig zu­ gelangt und ihren Gemeinschaftsgeist unter Beweis gestellt.

So hatte der Turnersteg seit seiner Errichtung im Jahre 1914 einerseits Arbeitskraft und Freizeit der Vereinsmitglieder, aber auch die Finanzen des Vereins immer wieder in nicht unerheblichem Ausmaß in Anspruch genommen. Andererseits wurden durch solche Taten das Zusammengehörigkeitsgefühl und der Kameradschaftsgeist innerhalb des Vereins gefördert.

Erst Anfang der Siebziger Jahre wurde der MTV sein lästiges Anhängsel los. Endlich hatte der Gemeinderat von Aising dem wiederholt vorgebrachten Antrag des MTV entsprochen und den Turnersteg in das Eigentum der Gemeinde übernommen. Die nunmehr für den Steg verantwortlichen Gemeindevertreter setzten sich mit Nachdruck bei den zuständigen Stellen für die Gewährung von Staatsmitteln zur Erneuerung des allmählich baufällig gewordenen Turnersteges ein. Im Jahre 1977, also ein Jahr bevor Aising im Zuge der kommunalen Gebietsreform in die Stadt Rosenheim eingemeindet wurde, war es dann soweit. Ein Lob gebührt in dieser Rückschau dem Aisinger Gemeinderat mit seinem ehemaligen Bürgermeister Anton Detterbeck an der Spitze, für den in dieser Sache bewiesenen Weitblick. Es wurden "Nägel mit Köpfen" gemacht. Der alte Steg wurde abge­ rissen und an seiner Stelle mit einem Kostenaufwand von rd. 290.000,- DM ein massiver Übergang über die Mangfall geschaffen, der nach menschlichem Ermessen auch späteren Generationen noch dienen wird. Angesichts der Tatsache, daß die Bebauung in Oberwöhr und Aisingerwies zwischenzeitlich einen ungeahnten Umfang angenommen hat, war diese, im öffentlichen Interesse gelegene Baumaßnahme, mehr als gerechtfertigt.

Der im Jahre 1914 von begeisterungsfähigen Mitgliedern des Männer-Turn-Vereins errichtete Turnersteg hatte über einen Zeitabschnitt von mehr als 60 Jahren sowohl den Vereinsmitgliedern, wie auch der ständig wachsenden Bevölkerung von Oberwöhr und Aisingerwies, aber auch den Einwohnern der Stadt Rosenheim, beste Dienste geleistet.