Grunderwerb

Die neue Vorstandschaft ging schwungvoll und mit weitschauenden Plänen ihre Vereins­ arbeit an. Insbesondere Gründungsmitglied und jetziger Vereinsvorsitzender Georg Mühlthaler war es, der seine ganze Freizeit dem Verein opferte und der nicht locker ließ, bis es ihm trotz mancher negativer Einflüsse gelang, ein 10460 qm großes Grundstück in Oberwöhr für den Verein zu erwerben. Das Wiesengrundstück war teilweise von Eichenbäumen umsäumt. In Gemeinschaftsarbeit wurde es unverzüglich in einen Sommerturn- und Spielplatz umgewandelt. Bald wurde dann auch die heute noch bestehende Turneralm gebaut, die in der Folgezeit mehrmals saniert und vergrößert wurde. So wurde um die Jahrhundertwende durch den Unternehmungsgeist des damaligen Vorsitzenden Georg Mühlthaler und seines Turnrates mit dem herrlich gelegenen Areal in Oberwöhr den Vereinsmitgliedern ein Kleinod erworben, das den turnerischen und sportlichen Interessen des Vereins überaus förderlich war. Darüber hinaus wurde es gesellschaftlicher Mittel­ punkt des Vereinslebens und ist es bis heute geblieben. Damit hat sich Georg Mühlthaler mit seinem Turnrat Verdienste erworben, die auch aus heutiger Sicht nicht hoch genug zu werten sind. In diesem Zusammenhang ist es angebracht, das von einem Vereinsmitglied verfasste Turnerlied zu erwähnen, dessen erste drei Strophen lauten:

"Am Oberwöhr da liegt ein Plätzchen, das der MTV sein Eigen nennt. Das umsäumt von Bergesketten, umrauscht von Bäumen, jeder kennt. Der schönste Platz in unser'm Gau, das ist der Platz des MTV. Wenn im Lenz die Blumen blüh'n, und die Bäume schlagen aus, dann zieht es jeden deutschen Turner, auf den Turnplatz stets hinaus. Der schönste Platz in unser'm Gau .....Nach des Tages Müh und Lasten, wandert man zum Turnplatz hin, Alltagssorgen gibt's dort keine - denn dort herrscht ein Geist, ein Sinn. Der schönste Platz in unser'm Gau ..... "

So verlebten die Turner des MTV nach der Jahrhundertwende viele glückliche Jahre. Sie waren aber auch darauf bedacht, die Grundrechte des Vereinslebens, die Vereinssatzung, weiter zu entwickeln und den sich im Zeitablauf veränderten Verhältnissen anzupassen. So wurde in einer außerordentlichen Generalversammlung am 14. Mai 1904 eine neue Vereinssatzung, bestehend aus 49 Paragraphen, beschlossen.

Erwähnenswert ist die Regelung der Mitgliedschaft zum damaligen Zeitpunkt. Der maßgebliche Paragraph lautet:

"Aktives Mitglied kann jeder unbescholtene Mann werden, wenn er das 17. Lebensjahr zurückgelegt und selbständigen Erwerb hat.

Passive Mitglieder sind diejenigen unbescholtenen Personen, welche durch ihre Mitgliedschaft die Turnsache zu fördern und den Verein in pekuniärer Hinsicht zu unterstützen gewillt sind.

Als Turnfreunde können nur solche unbescholtenen Personen aufgenommen werden, welche das 35. Lebensjahr überschritten haben und gleich den passiven Mitgliedern durch ihre Mitgliedschaft die Turnsache fördern und den Verein in pekuniärer Beziehung zu unterstützen bereit sind.

Zu Ehrenmitglieder können solche Mitglieder ernannt werden, welche sich um das Turnwesen oder um den Verein hervorragende Verdienste erworben haben. Diese Ernennung erfolgt auf Antrag des Turnrats durch die Mitglieder."

Bemerkenswert aus heutiger Sicht: Der aktive Sport war den männlichen Mitgliedern vor­ behalten!

Mit dem Erwerb des Sommerturn- und Spielplatzes in Oberwöhr kam für den Verein eine spürbare Aufwärtsentwicklung. Die zu dieser Zeit eingeführten Turnfeste, wie das Anturnen, das Sommerfest oder im Herbst das Abturnen erfreuten sich bei der Rosenheimer und Aisinger Bevölkerung großer Beliebtheit. Sie entwickelten sich alsbald zu kleinen Volksfesten.

Turnhalle für den Winterbetrieb

Mit beachtlichen Erfolgen sorgten die Aktiven des Vereins dafür, daß der relativ noch junge MTV in Fachkreisen einen guten Namen bekam. Diese positive Entwicklung trübte bald ein neues Problem. Für einen geregelten Turnbetrieb im Winter erwies sich die Turneralm in Oberwöhr nicht nur zu klein, sie war auch zu weit von der Stadt entfernt. Der aktiven Vorstandschaft gelang es schließlich auch diesen Engpass zu überwinden. In dem Rosenheimer Brauereibesitzer Auer wurde ein Gönner und Förderer der Turnsache gewonnen. Der Brauereibesitzer ließ im "Saubräukeller" am Ludwigsplatz einen Saal zu einer funktionsgerechten Turnhalle ausbauen. Nach vorangegangenen Verhandlungen wurde in der außerordentlichen Mitgliederversammlung am 30. September 1905 der exakt formulierte Vertrag zwischen dem MTV und dem Brauereibesitzer Auer von den Mitgliedern gutgeheißen. Mit der Lösung dieses Problems ging es auf turnerischem Gebiet weiter aufwärts. Das moderne Geräteturnen hielt Einzug, das Frauenturnen bis zu diesem Zeitpunkt tabu -begann, die Mitgliederzahlen tendierten nach oben und der MTV gewann in weiten Bevölkerungskreisen an Ansehen.

Der Jahresbericht für das Vereinsjahr 1905 weist einen Mitgliederstand von 227 Voll mit­ gliedern und 30 Zöglingen aus. Der Wert des Sommerturn- und Spielplatzes wurde in diesem Bericht mit 12.500,-Mark, einschließlich Turneralm, in Ansatz gebracht (heute wohl ein Millionenvermögen). Ferner wurde von einer regen Beteiligung der Aktiven an turnerischen Wettkämpfen berichtet. Georg Hackl, Paul Lechner, Josef Simon, Peter Eibl, Matthias Pals, Josef Gnadl, Leonhard Huber, Michael Fischer, Josef Achatz, Josef Strasser, Heinrich Häuslmayer, Josef Anzinger u.v.a. tauchen immer wieder in den Siegerlisten auf. Mit Franz Xaver Kollmer, Georg Hackl, Josef Simon, Peter Eibl, Josef Gnadl, Heinrich Häuslmayer, Rupert Schwer, Franz Heneck, Josef Ehrenböck, Anton Barth, Josef Inzinger, Josef Seitz und Michael Loy stellten sich dem seit dem Jahre 1897 amtierenden 1. Vorsitzenden Georg Mühlthaler weitere Idealisten für die im Turnrat anfallende Vereinsarbeit zur Verfügung.

Wirtschaftsbetrieb

Der bisher in Eigenregie betriebene Wirtschaftsbetrieb auf der Turneralm, sollte im Jahre 1907 auf Pachtbetrieb umgestellt werden. So wollte es jedenfalls der Turnrat. Aber trotz eifriger Suche und trotz einer öffentlichen Ausschreibung konnte kein geeigneter Pächter gefunden werden. Schließlich erklärte sich der 1. Vorsitzende, Georg Mühlthaler, bereit, künftig den Wirtschaftsbetrieb zusammen mit seiner Frau gegen eine Entschädigung von zwei Pfennig pro Liter Bierausschank zu übernehmen. Nachdem der Idealist Mühlthaler nur zu gut über die angespannte Finanzlage des Vereins Bescheid wusste, übernahm er neben seiner arbeitsaufwendigen Vorstandstätigkeit auch noch die Wirtschaftsführung auf der Turneralm gegen eine "Butterbrotentlohnung" . Mühlthaler tat dies in dem Bewusstsein, daß es mit dem Vereinsleben abwärts gehen würde, wenn die Wirtschaftsführung eingestellt und damit den Vereinsmitgliedern ihr gesellschaftlicher Mittelpunkt nicht mehr voll zur Verfügung gestanden hätte.

Geselliges Vereinsleben

Seit jeher hatte der MTV auf die Pflege eines geselligen Vereinslebens großen Wert gelegt. So wurden zur damaligen Zeit Rekrutenabschiede, Familienabende, Kegelabende, Tanzkurse mit abschließenden Tanzkränzchen, Vereinsbälle und Varieteabende im Hotel "Deutscher Kaiser" veranstaltet.

Sogar ein Waldfest mit "italienischer Nacht" wurde auf dem Sommerturnplatz inszeniert. Im Rahmen der Sommerfeste wurden zur Freude der zahlreichen Besucher Feuerwerkskörper abgebrannt. Im Jahre 1908 wurde eine Trommlerriege zusammengestellt, die bei Vereinsausflügen und öffentlichen Auftritten den MTV-Turnern voranmarschierte. Nicht nur die Trommlerriege, auch der Turnrat rührte die Trommel und zwar die Werbetrommel. Mit einer Werbeschrift wurden interessierte Kreise über die Aktivitäten unterrichtet, die der Verein an den einzelnen Wochentagen anzubieten hatte.

Werbeschrift aus dem Jahre 1908

Männer-Turn-Verein Rosenheim

Gegründet 1885 E. V. Gegründet 1885

Eigener herrlich gelegener Waldspiel- und Sommerturnplatz mH reizendem Gebirgspanorama am Städtisch. Elektrizitätswerk. Eigene Halle und Alm mit öffentlichem Wirtschaftsbetrieb.

TURN BETRIEB : Mai-September turnen sämtliche Riegen am Sommerturnplatz und Oktober-April turnen nur die mit bezeichneten Riegen und zwar in der Vereins-Turnhalle im Saubräukeller.

Es ist Chronistenpflicht auch Negatives aufzuzeigen. Es soll deshalb nicht verschwiegen werden, daß es in diesen Jahren zu Spannungen mit dem Magistrat der Stadt Rosenheim kam. Der MTV fühlte sich ungerecht behandelt, weil dem TSV 1860 die städtische Turn­ halle zur Benützung überlassen wurde, während die Stadtoberen dies dem MTV versagt hatten. Aus heutiger Sicht muss man für die damalige Entscheidung der Stadt ein gewisses Verständnis aufbringen; denn schließlich konnten die Sechziger ältere Rechte ins Feld führen. Überhaupt war das Verhältnis zwischen den beiden Vereinen zur damaligen Zeit nicht das beste. Der TSV 1860 hatte es offensichtlich auch nicht vergessen, das ein Teil seiner Mitglieder im Jahre 1885 aus dem Verein austrat und einen neuen Turnverein gründete. Andererseits witterten die MTV'ler immer wieder eine negative Beeinflussung ihrer Vereinstätigkeit ob zu recht oder zu unrecht mag dahingestellt bleiben seitens des TSV 1860. Ein vom Magistrat der Stadt Rosenheim geplantes Volksfest brachte die bei­ den Vereine einander dann endlich näher. Im Rahmen des Volksfestes sollten der MTV und der TSV 1860 mit turnerischen Vorführungen aufwarten. Man setzte sich deshalb zu einer gemeinsamen Besprechung an einen Tisch. Das hierüber am 6. August 1909 gefertigte Protokoll hat folgenden Wortlaut:

"Nachdem Herr Josef Heliel, 1. Vorsitzender des Turnverein Rosenheim, in seiner Begrü­ßungsrede seiner Freude Ausdruck verliehen hat, über das erstmalige freundschaftliche Zusammensein der beiden, seit Jahren sich feindlich gegenüberstehenden Turnvereine, forderte er die Anwesenden zu einem kräftigen Gut Heil auf, damit die Harmonie zwischen den beiden Vereinen wieder hergestellt werde. "

Daraufhin reichte man sich die Hand und das turnerische Programm für das geplante Volksfest wurde im besten Einvernehmen festgelegt.