Die Zeit von 1885 -1933

Was waren die Beweggründe unserer Vorfahren, in einer Zeit der beginnenden Industrialisierung, den Entschluss zu fassen, einen neuen Turnverein ins Leben zu rufen, obwohl ein solcher bereits seit 25 Jahren in Rosenheim existierte? War es Vereinsmeierei, war es Geltungssucht oder waren es Konkurrenzgedanken? Wohl keiner dieser drei Gründe war der Anlass. Vielmehr ist aus den nur spärlich aus der Gründerzeit zur Verfügung stehenden Aufzeichnungen ersichtlich, daß sich damals vom Turnverein 1860 Rosenheim ein relativ kleiner Teil der Mitglieder löste, weil diese Turner bei ihrem bisherigen Verein offensichtlich ihre Interessen nicht in dem Maße zur Geltung bringen konnten, wie sie es sich vor­ stellten. Diese ihre Interessen lagen vor allem in der Verwirklichung der Idee des Turnvaters Jahn, nicht zuletzt aber auch im gesellschaftlichen Bereich.

Voll Idealismus gingen diese "Abtrünnigen" daran, eine Bleibe für den ihnen vorschwebenden neuen Verein zu suchen. Es war für die Männer der ersten Stunde fürwahr nicht einfach, sozusagen aus dem Nichts heraus ihre Idee in die Tat umzusetzen, zumal in der Stadt Rosenheim keine Übungsstätte zu finden war. Schließlich wanderten sie auf den nahe gelegenen Schloßberg. Sie gründeten am 13. August 1885 in der dortigen Gaststätte "Zum Schloßwirt" den neuen Verein. Zum Dank für die freundliche Aufnahme auf Schloßbergs Höhen, bekam der Verein den Namen "Turnverein Schloßberg" . Die erste Vorstandschaft setzte sich aus folgenden Mitgliedern zusammen:

1. Vorstand, Bäckermeister Bauer;
2. Vorstand, Oberlokomotivführer Thaler;
Säckelwart, Kaminkehrermeister Baumer;
Zeugwart, Kaufmann Mühlthaler;
Schriftwart, Schneidermeister Held;
Beisitzer, Bürgermeister Aßbichler und Brunnwart Hirgstetter.

 

 

 

Martin Bauer, Bäckermeister

Gründungsvorstand im Jahre 1885, neun Jahre Erster Vorsitzender und später Ehrenvorsitzender des Männer-Turn-Verein Rosenheim

 


Fahnenweihe 1887

Mit großzügiger Unterstützung einzelner Vereinsmitglieder und der turnfreundlichen Einwohner von Schloßberg war der neugegründete Verein sehr bald in der Lage, sich eine für damalige Verhältnisse außerordentlich wertvolle Vereinsfahne anzuschaffen. Mit der dann am 25. August 1887 stattgefundenen Fahnenweihe trat der junge Verein erstmals in größerem Rahmen an die Öffentlichkeit. In den zurückliegenden 98 Jahren hat diese Fahne alle Höhen und Tiefen des Vereins überlebt. Sie hat bei den Deutschen Turnfesten in München, Hamburg, Nürnberg, Frankfurt am Main, Köln, Stuttgart und Breslau die Turner des MTV Rosenheim begleitet; sie hat in dieser langen Zeit aber auch vielen verstorbenen Vereinsmitgliedern am offenen Grab die letzte Ehre erwiesen. Diese vom Ruhme der Vergangenheit kündende Fahne hat jetzt wahrlich ausgedient. Sie wird zum hundertjährigen Jubiläum durch eine neue Fahne ersetzt, der wir ein ebenso langes Dasein wünschen wie ihrer Vorgängerin. Verschwiegen soll nicht werden, daß ein unserem Verein nahe stehender Sponsor diese neue Fahne gestiftet hat. Ihm an dieser Stelle hierfür zu danken, ist uns Ehrensache.

Im Jahre 1890 wurde dem erst fünf Jahre alten Verein eine besondere Ehre zuteil. Er wurde beauftragt, das Gauturnfest des Turngaues Rosenheim am Schloßberg durchzuführen.

Auf Herbergssuche

Nach diesen ersten Jahren einer schwungvollen Entwicklung stellten sich Rückschläge ein, deren Ursache vor allem im Fehlen einer geeigneten Übungsstätte zu suchen war. Es begann ein Zeitabschnitt, den man am treffendsten mit dem Begriff "Herbergssuche" umschreibt. Nachdem der Verein im Herbst 1891 sein Vereinslokal und seine Turnstätte auf dem Schloßberg verlassen musste, wurde der Turnbetrieb in verschiedenen Gaststätten abwechselnd durchgeführt. So z.B. im Schmidbräukeller, beim Kahlhofer, beim Greiderer oder im Pernlohner Keller. Schließlich diente ein Stadel an der Ebersberger Straße in Rosenheim in den Jahren 1895 -1897 als Turnhalle, den der damalige Okonomierat Steinböck zur Verfügung stellte. Unabhängig von diesen äußeren Schwierigkeiten wurde an der turnerischen Ausbildung der Vereinsjugend unverdrossen weiter gearbeitet.

Endlich in der Stadt Rosenheim

Nach diesem langen Hin und Her kam im Jahre 1897 für die Schloßberger Turner, wie sie genannt wurden, die große Wende. Der Rosenheimer Gasthofbesitzer Karl Schwenk ließ in seinem Lokal mit dem Namen "Wittelsbach" einen geeigneten Saal zu einer Turnhalle ausbauen. Damit hatte der Verein in der Stadt Rosenheim endlich festen Fuß gefasst. Er ließ sich von nun an nicht mehr aus dem Stadtbereich verdrängen. Von diesem Zeitpunkt an entwickelten die Vereinsmitglieder erstaunliche Aktivitäten. Die Ära des Turnvereins Schloßberg war zu Ende. Am 24. Juli 1898 stellte der Verein unter dem neuen Namen "Männer-Turn-Verein Rosenheim" an das König!. Landgericht Traunstein den Antrag auf Errichtung eines "anerkannten" Vereins. Dieser Antrag wurde zunächst wegen sachlicher und formeller Mängel an den Verein zurückgegeben. Weil der Name "Männer-Turn-Verein Rosenheim" erstmals in Erscheinung trat, musste eine Gründungsversammlung einberufen werden, die am 6. Januar 1899 den Beschluss fasste, den bisherigen, gerichtlich noch nicht anerkannten Namen "Turnverein Schloßberg" abzulegen und dafür den Namen "Männer-Turn-Verein Rosenheim" zu setzen mit der Maßgabe, gleichzeitig die Rechte eines anerkannten Vereins zu erwerben.

Seit 1899 Männer-Turn-Verein Rosenheim

Dieser erneute, formell nunmehr einwandfreie Antrag wurde am 26. Januar 1899 dem König!. Landgericht Traunstein wieder zugeleitet. Das Gründungsprotokoll ist von folgenden Vorstandsmitgliedern unterzeichnet:

1. Vorstand, Georg Mühlthaler;
2. Vorstand, Hans Hösch;
Säckelwart, Anton Auer;
Schriftwart, Heinrich Häuslmayer;
1. Turnwart, Josef Inzinger;
2. Turnwart, Georg Kunst;
Zeugwart, Sebastian Barth;
Beisitzer, Josef Ehrenböck und Karl Drechsler.

Zu diesem Zeitpunkt umfasste der Verein 117 Mitglieder. Am 24. Februar 1899 teilte das König!. Landgericht Traunstein mit, daß laut Beschluss der I. Zivilkammer der Antrag auf Anerkennung des Vereins genehmigt wurde. Von jetzt an führte der Verein mit dem neuen Namen "Männer-Turn-Verein Rosenheim" den Zusatz "a.V." (anerkannter Verein). Mit dieser amtlichen Registrierung war für den Verein die Verpflichtung verbunden, jede Veränderung in der Zusammensetzung der Vorstandschaft protokollarisch festzuhalten und dem Registergericht anzuzeigen. Das erste Protokoll wurde in Form des Jahresberichts für das Jahr 1899 dem Registergericht vorgelegt. Es ist sicher auch heute noch interessant festzustellen, wie ein Vereinsjahr vor nunmehr 85 Jahren beim MTV Rosenheim verlaufen ist. Auch wenn der in der damals üblichen deutschen Schrift gefertigte Bericht für Viele der heutigen Generation nicht mehr lesbar sein dürfte, ist er allein schon der Akribie wegen, mit der er vom damaligen Schriftwart Franz-Xaver Kollmer gefertigt wurde, von allgemeinem Interesse.

Georg Mühlthaler, Kaufmann 1945
Gründungsmitglied, 23 Jahre Erster Vorsitzender und später Ehrenvorsitzender des Vereins. Seinem Weitblick und seiner Tatkraft verdankt der MTV seinen Sommerturn- und Spielplatz mit Turneralm in Oberwöhr.